In der Philosophie des 20. Jahrhunderts gibt es mehrere unabhängig voneinander entstandene, in ihren Auffassungen völlig verschiedene erkenntnistheoretische Strömungen, die auf Grund des gemeinsamen Namensbestandteils Konstruktivismus oft irrtümlich für ähnlich oder gar übereinstimmend gehalten werden. Während zum Beispiel der radikale Konstruktivismus generell die menschliche Fähigkeit, objektive Realität zu erkennen, bestreitet und dies u.a. damit ausdrückt bzw. erklärt, dass jeder einzelne sich seine wahrnehmungsbasierte subjektive Realität im eigenen Kopf "konstruiert" (d.h. sich auf Grund seiner Wahrnehmungen vorstellt), geht – ganz im Gegensatz dazu – etwa der sogenannte Erlanger Konstruktivismus davon aus, dass es mit Hilfe einer besonderen Sprach- und Wissenschaftsmethodik möglich sei, das "naive Vorfinden der Welt" zu überwinden und durch "methodische Erkenntnis- und Wissenschaftskonstruktionen" zu ersetzen.

Konstruktivistische Gedanken in der Aufklärung #

Immanuel Kant formulierte vor allem in seinem Werk Kritik der reinen Vernunft für die Aufklärung in Deutschland erstmals konstruktivistische Überlegungen, die in seinem Konzept "das Ding an sich" münden. Danach ist es zuerst der Verstand des Menschen selbst und zwar des Subjekts, der die Erscheinungen für sich formt und konstruiert. Das Subjekt orientiert sich an seinen Handlungs- oder Denkschemata und wählt die dazu passenden Reize aus. Bezogen auf den Verstand formuliert Kant: alle seine Vorstellungen und Begriffe sind bloß seine Geschöpfe, der Mensch denkt mit seinem Verstand ursprünglich, und er schafft sich also seine Welt. Begriffe der Natur sind Begriffe des Subjekts über die Natur, die er nicht der Natur entnimmt, sondern durch seinen Verstand geformt in diese Natur hineinlegt. Die Organisation und der Zusammenhang, der Bezug der Dinge zu einander sind nicht vorgegeben, sondern davon abhängig, wie wir sie für uns erleben:
Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.
(Immanuel Kant (1781): Kritik d.r.V., Werke, A, Bd.IV, S.125) [1]

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