In der Philosophie des 20. Jahrhunderts gibt es mehrere unabhängig voneinander entstandene, in ihren Auffassungen völlig verschiedeneerkenntnistheoretische Strömungen, die auf Grund des gemeinsamenNamensbestandteils Konstruktivismus oft irrtümlich für ähnlich oder gar übereinstimmend gehalten werden. Während zum Beispiel der Radikale Konstruktivismusgenerell die menschliche Fähigkeit, objektive Realität zu erkennen,bestreitet, und dies u.a. damit ausdrückt bzw. erklärt, dass jedereinzelne sich seine wahrnehmungsbasierte subjektive Realität im eigenenKopf "konstruiert" (d.h. sich auf Grund seiner Wahrnehmungenvorstellt), glaubt – ganz im Gegensatz dazu – etwa der sogenannte"Erlanger Konstruktivismus" daran, dass es mit Hilfe einer besonderenSprach- und Wissenschaftsmethodik möglich sei, das "naive Vorfinden derWelt" zu überwinden und durch "methodische Erkenntnis- undWissenschafts-Konstruktion" zu ersetzen.
Konstruktivistische Gedanken in der Aufklärung BearbeitenImmanuel Kant formulierte vor allem in seinem Werk Kritik der reinen Vernunft für die Aufklärung in Deutschland erstmals konstruktivistische Überlegungen, die in seinem Konzept des Ding an sich münden. Danach ist es zuerst der Verstand des Menschen selbst und zwar des Subjekts,der die Erscheinungen für sich formt und konstruiert. Das Subjektorientiert sich an seinen Handlungs- oder Denkschemata und wählt diedazu passenden Reize aus. Bezogen auf den Verstand formuliert Kant: alleseine Vorstellungen und Begriffe sind bloss seine Geschöpfe, der Menschdenkt mit seinem Verstand ursprünglich, und er schafft sich also seineWelt. (Immanuel Kant: Werke. Bd. VII, S. 71)Begriffe der Natur sind Begriffe des Subjekts über die Natur,die er nicht der Natur entnimmt, sondern durch seinen Verstand geformtin diese Natur hineinlegt. Die Organisation und der Zusammenhang, derBezug der Dinge zu einander sind nicht vorgegeben, sondern davonabhängig, wie wir sie für uns erleben:Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wirNatur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nichtdarin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseresGemüts ursprünglich hineingelegt. (Immanuel Kant (1781): Kritik d.r.V., Werke, A, Bd.IV, S.125) [1]
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